2022 • Roermond und Waldniel

Nach langer coronabedinger Pause fand am 24. September wieder eine Exkursion des Fördervereins Christuskirche Neuss e.V. statt. Dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten sich mit dem von Lothar Koch gesteuerten Reisebus auf den Weg, zunächst zu unserem ersten Ziel nach Roermond. Aber nicht um zu shoppen, sondern sich diese schöne Stadt näher anzuschauen und mehr über ihre wechselvolle Geschichte zu erfahren. 

In zwei Gruppen aufgeteilt, wurden wir von den beiden charmanten Stadtführerinnen auf dem historischen  und samstags besonders belebten Marktplatz, mit Blick auf das alte Rathaus, das auch ein Glockenspiel bereithält, empfangen. Cafés umgeben den Markt und über allem thront die Bischofskathedrale St. Christoffel, die wir leider nicht von innen besichtigen konnten, da zeitgleich Gottesdienste stattfanden. Aber auch von außen ist dieses imposante Bauwerk, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1410 reichen, sehenswert. Es widerstand selbst Kriegen und dem Erdbeben von 1992. Kostbare Werke zeichnen die Christoffelkathedrale aus, die zudem auch Pilgerkirche des Jakobsweges ist. Hinter der Kirche befindet sich eine kleine Anhöhe, die auf den ältesten Ort der einstmals römischen Siedlung verweist. Roermond meint nämlich wohl eher Roerberg statt Mündung der Rur, die hier in die Maas fließt. 

Nun ging es weiter durch die Stadt. Das regnerische Wetter trübte nicht die gute Stimmung. Vorbei an historischen Patrizierhäusern und dem aktuellen Bischofssitz erreichten wir schließlich die zweite große
Kathedrale Roermonds am Münsterplatz: Onze lieve Vrouwe Munsterkerk, ehemals Klosterkirche des Zisterzienserstiftes aus dem 13. Jahrhundert. Die Gründer Gerald III von Geldern und seine Gemahlin Margaretha von Brabant haben in einem figürlichen Grabmonument vor dem Altar ihre letzte Ruhe gefunden. Unsere beiden Stadtführerinnen besorgten einen Schlüssel für die Kirche, und so konnten wir das Innere des spätromanischen Münsters, das eindrücklich an das Quirinusmünster erinnert, exklusiv genießen. 

Neben religiösen Kunstwerken wie Darstellungen des hl. Christopherus und des hl. Bernhard beeindrucken hier besonders auch die Werke des berühmtesten Sohnes der Stadt, des Architekten Pierre Cuypers, an den auch eine Statue auf dem Vorplatz erinnert. Cuypers (1827-1921), der bekannte Bauwerke wie den Hauptbahnhof Amsterdam oder das Rijksmuseum errichtet hat, restaurierte auch dieses Münster und schuf Werke wie die doppelseitige Strahlenkranzmadonna, die Historisches mit der Moderne verbinden. Schon bald endete unsere Stadtführung mit einem kurzen Blick auf das ehemalige Gefängnis, das heute ein Luxushotel ist, das Geburtshaus Cuypers , die ehemalige Synagoge. Am Theaterhotel angekommen, wo wir unser Mittagessen einnahmen, verabschiedeten wir uns mit großem Dank von unseren Stadtführerinnen. 

Das alte Roermond ist, so darf man sagen,  mehr als ein Shoppingparadies (Outletcenter). Man sollte wiederkommen und vielleicht dann auch eine Bootstour auf der Maas unternehmen oder ins Wasserfreizeitparadies auf der anderen Seite der Brücke fahren.

 Also: Tot Ziens! Bis bald!

Fortsetzung

Nach der Mittagspause ging es dann zurück nach Deutschland zu einem Ziel ganz anderer, sehr ernster Art: zur Gedenkstätte für die Opfer der NS-Psychatrie in Waldniel-Hostert.

Vor dem Besuch der eigentlichen Gedenkstätte gab es einen einführenden Vortrag von Herrn Zoehren, einem ehemaligen Hauptschullehrer, in der nahegelegenen Kirche St. Mariae Himmelfahrt. Er und auch seine Frau haben wesentlich zur Entstehung der Gedenkstätte und vor allem der Sichtung der Daten über die Opfer beigetragen. Zusammen mit Dr. Lentzsch informierte Herr Zoehren uns darüber, was für Grausamkeiten an behinderten Menschen in der „Abteilung Waldniel“ in den Jahren 1939 bis 1945 geschahen und wie in langjähriger Arbeit die Fakten zusammengetragen werden konnten – waren die Nazis doch sogar noch sorgfältig in der Dokumentation ihrer Gräueltaten!

Sie fanden in ihrem Bestreben, „lebensunwertes Leben“ zu vernichten, in Waldniel, zynisch gesagt, „ideale“ Bedingungen vor – gab es doch dort bereits eine von Franziskanermönchen geleitete Anstalt, in der behinderte Menschen aus dem Umfeld betreut wurden, um sie so weit wie möglich zu fördern und das lernen zu lassen, was möglich war. Die „Förderung“ der Nazis bestand allerdings darin, die ihnen anvertrauten Menschen, teilweise Kinder, verhungern zu lassen oder mit Spritzenkuren aus dem Schlaf in den Tod zu befördern.

Wir alle waren sehr betroffen von dem Gehörten, noch mehr aber von dem, was wir danach wenige Meter entfernt zu sehen bekamen. 

Die Gedenkstätte liegt auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof und wurde von den Wiener Architekten Struber und Gruber gestaltet. Man geht an einer schlichten grauen Wand aus leicht strukturierten Betonplatten vorbei, die den Blick von der Straße auf die Gedenkstätte nicht zulässt. Senkrecht dazu gibt eine abwärts sich verjüngende „Treppe“ bis zur halben Breite des Friedhofs den Blick auf eine Rasenfläche frei, auf der drei große, leuchtend bunte Aluguss-Kugeln in Rot, Gelb und Blau liegen, beschriftet mit „Lieschen schläft“, „Peter weint“ und „Klaus war schlimm“. 

Die Innenseite der Plattenmauer ist dem eigentlichen Gedenken an die Opfer der Nazi-Euthanasie gewidmet: Zahllose Bronzeplaketten mit ihren Namen und Lebensdaten sind in einem unregelmäßigen Muster über die Platten verteilt. Da wurde auch erkennbar, dass nicht nur Kinder, manchmal nur wenige Jahre alt, sondern auch junge und ältere Erwachsene zu den Opfern zählten. „Paten“ aus aller Welt finanzierten diese Plaketten; Schulkinder hatten die Daten zuvor in Wachssiegel eingetragen.

Wir alle waren gerade durch die Schlichtheit der Anlage besonders betroffen; da sprachen die bösen Fakten ohne Pathos lauter als jeder Erläuterungstext – den es allerdings, unauffällig angebracht, auf einer einfachen Gedenktafel in der gegenüberliegenden Ecke der Fläche gibt. Es wurde wenig gesprochen, so, als wollte man die lastende Stille des Ortes nicht aufheben. 

Erst auf dem Rückweg zum Bus kamen Gespräche in Gang, deren allgemeiner Tenor es war, dass eine solche Gedenkstätte vor allem deshalb so wichtig sei, damit den Generationen, die von den Nazi-Greueln nur aus den Schulbüchern erfahren, vermittelt wird, dass sich so etwas nicht wiederholen darf. Und bereitwillig spendeten alle zum Dank an Herrn Zoehren und seine Frau für die Lebenshilfe, mit der Ehepaar Zoehren zusammenarbeitet. Es kam eine schöne Summe zusammen.

Gut, dass bis zur Ankunft im Café für die abschließende Kaffeepause einige Zeit verstreichen konnte – der Kontrast wäre allzu groß gewesen. Bei Kaffee und Kuchen klang der Ausflugstag aus. Der Wettergott hatte allerdings noch eine Überraschung für uns bereit. Als wir uns zum Bus begeben wollten, goss es in Strömen und sollte, so die Wetter-App, auch nicht so schnell aufhören.

Die Heimfahrt verlief jedoch dank der umsichtigen Fahrweise von Herrn Koch (auch für ihn gab es eine kleine Spende) so problemlos wie die Hinfahrt, und wir kamen um 18.30 Uhr wieder an der Christuskirche an, müde, aber dankbar für einen besonderen Tag.

Franz Dohmes / Roermond
Astrid Irnich / Waldniel-Hostert
Fotos von Verena Dziobaka-Spitzhorn und Harald Frosch